Sonntag, 18. August 2013

...und von der UnSichtBar


Mister Fitch

[...]
Ich tastete vorsichtig entlang des Tellers über Messer. Gabel und Serviette, wie der gute Geist es mir geraten hatte, fand das Suppentöpfchen mittig hinter dem Teller, fasste die beiden Henkel, führte es ohne zu Kleckern an den Mund und schlürfte genüsslich. Wunderbar. Hier sah mich ja niemand. Dann stellte ich es vorsichtig an seinen Platz zurück, damit der Geist der Finsternis es nachher abräumen konnte. Jetzt krabbelten meine Finger zum Weinglas hinter dem Teller rechts. Ich einen Schluck aus dem Glas und spürte Wärme sich wohlig in meinem Körper ausbreiten. Ein viel versprechendes Menü hatte ich an der Rezeption bestellt, die weiteren Speisen würde man mir hoffentlich nicht zu schnell hintereinander servieren. Nach einem anstrengenden Arbeitstag hatte ich dieses Nurfürmichsein mehr als verdient. Der Trubel in den Messehallen, die vielen Gesichter, Gespräche, das ständige Lächeln, das sich im Laufe des Tages in meinem Gesicht festgesetzt hatte, als könnte es niemals enden. Ich schob die Mundwinkel nach unten, dann in die Breite, zog den Mund quer zu einem breiten Grinsen, klimperte mit den Augen und bewegte die Brauen hoch und runter. Dieses Grimassenspiel machte ich eine ganze Weile. Wie gut das tat. Einfach nicht mehr funktionieren.
Der zweite Gang wurde hinter den Teller gestellt. Das Tasten danach war schon fast ein bisschen Routine. Zucchini, Gurken, Paprika und Karotten, mundgerecht in Streifen. Das Besteck ließ ich beiseite, griff zu und steckte die vitaminreichen knackigen Sticks nacheinander in den Mund.
Doch in dem Moment war es auch schon vorbei mit der Entspannung.
„Vergiss nicht den Dipp!“, ermahnte ein Gegenüber am Tisch.
War das nicht wie verhext? Einfach so tun, als hätte ich nichts gehört. Warum sollte denn ausgerechnet ich gemeint sein? Saßen doch genug Leute um mich herum und quatschten nach Herzenslust, viel lauter als in jedem anderen Restaurant. Doch der Typ war hartnäckig.
„Mit Avocado“, meinte er.
„Ja, ja, ja! Bereits bemerkt.“
„Ausschließlich natürliche Zutaten, Knoblauch ist auch drin.“
Hätte ich auch ohne seinen Hinweis gerochen. Apropos riechen. Mein Gegenüber roch verdammt gut, ganz eindeutig Fierce, war wohl auch Shoppen auf der Fifth.
„Schmeckt doch gleich besser mit Dipp, das musst du zugeben. Was bist du für eine?“
„Viel unterwegs“, antwortete ich. „Heute mal in Köln. Touristikmesse. Vielen Leuten vieles erzählt. Den ganzen Tag über gelächelt. Alles gegeben. Ausgepowert. Nur noch Ruhe ist angesagt.“
„Da bist du hier richtig", meinte der Schlaumeier. "Hier kannst du dich mal hängen lassen."'
Die Seele baumeln lassen, meinte er wohl. Ich ließ den Kopf baumeln. Doch Mister Fitch kannte keine Gnade. 
[...]

Hatte er mich schon berührt? Warum musste er auch einen so verdammt guten Duft verströmen? New York. Abercrombie & Fitch. Shoppingerlebnis der besonderen Art. Schlange stehen auf der Fifth, endlich herangewunken werden, vorbeihetzen an zwei durchgestylten Hereinlassern und dem gut gebauten Jüngling mit nacktem Oberkörper im Eingang, hinein in die abgedunkelten, discobeatbeschallten, parfumduftenden Gänge, die sich über drei durch schwach beleuchtete Treppen erreichbare nicht allzu große Ebenen erstrecken und sich im Gedränge zwischen Tischen und Warenregalen hindurchschieben, bis man wieder in der Schlange steht, diesmal an der Kasse, um mit der schönsten Papiertragetasche der Welt, aus der Polos, Kapuzenpullis, Hemden und T-Shirts duften wie Mister Fitch, hinauszugehen auf die Fifth Avenue, wo sie noch immer Schlange stehen, um hineinzukommen in dieses Shoppingparadies.
Die Wörter flogen über dem Tisch hin und her. Jimi Hendrix.
Janis Joplin. Cat Stevens. Whitney Houston, Robbie Williams, Silbermond und Jan Delay. Udo Lindenberg beim Echo. Luxuslärm in der Batschkapp. Auftritt in Berlin. Muss ich demnächst wieder hin. Volles Haus. 
[...]

Leseprobe "Mister Fitch" aus 

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